Mike Noris

»Und möge Allah dafür sorgen, daß Euch dieses Mahl bekommt.« *)

Bemerkungen zur Black-Block-Serie bei Heyne

© 1993, 2001

REZENSION
TERRAsse 8
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Vorausschicken muß ich, daß der Zweck meiner Besprechung weniger eine fundierte Würdigung des gesamten Werkes ist (zumal ich bei weitem nicht alle Teile kenne), vielmehr will ich mit einigen Anmerkungen auf eine jedem Leser von Heyne-SF bekannte, doch von vielen unterschätzte Serie hinweisen. Der aktuelle Anlaß dafür ist mein Eindruck, daß die seit den achtziger Jahren erscheinende Serie 1993 eingestellt worden ist. Das wäre in jeder Hinsicht bedauerlich, ja unverständlich: Die Serie dürfte nicht nur - wie Serien überhaupt - eine finanzielle Stütze für Heynes SF-Programm gewesen sein, sondern auch, wenn nicht die umfangreichste Serie, so doch die mit den meisten Einzelpublikationen. Zumindest aber ist in der Veröffentlichung eine Pause eingetreten; Zeit also für einen ersten Rückblick.

Der von mir bevorzugte Name der Serie ist einer von mehreren, die sich eingebürgert haben; einen offiziellen scheint es nicht zu geben. Manche bezeichnen die Serie auch nach dem Ort, an dem die vielfältige Handlung immer wieder schlaglichtartig aufscheint, als das Blockade-Universum.

Zu einer seit langem offenen Frage - ob die anonym erschienenen Teile der Serie alle vom selben Autor stammen oder ob ein Team dahintersteht, möglicherweise eins von prominenten Schriftstellern -, kann ich leider auch nur vage Vermutungen beitragen. Bisher wurde ja (meines Wissens ohne Ausnahme) jedem Band der Black-Block-Serie (mindestens) ein Text eines anderen Verfassers beigefügt; daß die Autoren, denen solcherart eine Publikationschance gegeben wurde, oft auch schon ziemlich bekannt sind, spricht für den hohen professionellen Status eines Black-Block-Teams. Ich teile also nicht die gelegentlich anhand von Stilanalysen geäußerte Vermutung, die gesamte Serie stamme von einem deutschen Mainstream-Autor namens Reich-Ranicki; den Übereinstimmungen in der präzisen, lakonischen und oft apodiktischen Sprache stehen krasse Unterschiede gegenüber: Wo Reich-Ranicki immer ganz richtig »ich« schreibt, steht in der Serie oft ein schemenhaft allumfassendes »wir« ähnlich dem Pluralis socialisticus.**) - Schließlich scheint mir auch die stilistische Vielfalt eher auf Teamwork hinzudeuten, wobei aber jede einzelne Folge anscheinend nur einen Verfasser hat.

Die Art der Serie, sich mit kommentierenden Einschüben direkt an den Leser zu wenden, hat etwas sympathisch Altväterliches. (»Wir ahnen es schon: Die Vision einer Mahlzeit in einem Lokal, wo die Bedienung nur ein Lächeln und ein Namensschild trägt, wird eine Illusion bleiben - denn neue Abenteuer warten ...« [H 06/4875]) Sie war seinerzeit vor allem in Fortsetzungsromanen üblich und paßt somit gut zum Serientypus. Mitunter tritt der Autor auch ganz aus dem Erzählfluß heraus und vermittelt Reflexionen über den Text, ja sogar die Literatur überhaupt: »Shelley und Lord Byron, diese Dichter der Romantik, faszinieren uns noch heute. Warum? [...] Ist es die besondere Exzentrik dieser Geister, die unsere Phantasie anregt, oder ihr tatsächliches Schicksal, das der phantastischen  Dichtung  nahekommt?« [H 06/4816] So entsteht eine intellektuelle Meta-Literatur, die jedoch nie in reinen Diskurs abgleitet. Im Vordergrund bleibt immer die Handlung, ja sogar pure Action in den charakteristischen, aus dem Schwarz des Blockade-Universums hervorstechenden Momentaufnahmen.

Die Handlung nun läßt an Weite des kosmischen Maßstabs nichts zu wünschen übrig: »In dieser Wüste verlieren Zeit und Raum an Bedeutung, die Naturgesetze scheinen aufgehoben. [...] Zeit und Raum lösen sich auf, Vergangenheit und Gegenwart   gehen   ineinander über ... Existenzen, für die Jahrmillionen kaum einen Atemzug bedeuten, Leben, das körperlos als reiner Gedanke existiert ...« [H 06/4755, 06/4470, 06/4523] Dabei handelt es sich durchaus nicht um abstrakte Ideen-SF; über die riesige Zeitskala der Handlung hinweg kommt es immer wieder zu menschheitsbedrohenden Katastrophen***), gegen die bald verantwortliche Gruppen antreten (»Die Krisensitzung des Systemrats dauerte volle 120 Stunden.« [H 06/4811]), bald der typische Einzelkämpfer der Abenteuer-SF (»Ich bin dienstverpflichtet worden, um die Welt zu retten.« [H 06/4769]).

Von der stilistischen Vielfalt war schon die Rede, ihr entspricht die thematische: Raumfahrt, Zeitreise, Außerirdische, Roboter, Kyborgs, Mutanten - nichts fehlt im Blockade-Universum; SF- und Fantasy-Elemente sind zusammenkomponiert, »... jede Zutat nach einem festen Plan ... So entsteht ein kleines Kunstwerk.« [H 06/4884] Dennoch rankt sich dieser »feste Plan« um ein zentrales Motiv. Immer wieder scheint in den Texten eine manische Fixierung auf das Essen auf, wie man sie in der neueren deutschen Literatur höchstens noch bei Brecht findet (der aber als Autor der Serie kaum in Frage kommt); es wird geradezu zum Kriterium des Menschseins: »Und Cales Frage, ob sie denn noch esse und trinke, ist durchaus berechtigt. Wie weit ist Tracy überhaupt noch Mensch?« [H 06/4610] Man muß es dem Verfasser(-Team) zugute halten, daß es die ewige Problematik des Fressens und Gefressenwerdens ohne Beschönigung angeht****), dabei aber doch dem ersteren deutlich mehr Aufmerksamkeit widmet - die Grundhaltung der Serie ist durchweg optimistisch und lebensbejahend, das Menschheitsschicksal steht im direkten Bezug zur konkreten Alltagserfahrung des Einzelnen: »Der Menschheit wird eine Atempause gegönnt. [...] Greifen wir also zum kochenden Wasser, legen einen Löffel bereit und natürlich die ...« [H 06/4677]

Und möge Allah dafür sorgen, daß euch dieses Mahl bekommt.



Anmerkungen:

*) Heyne Taschenbuch Nr. 06/4843. Alle folgenden Quellenangaben beziehen sich auf die Nummern der Heyne-Taschenbücher.

**)In diese Richtung deuten interessanterweise auch einige Textstellen, z. B. in H 06/4784 die kommunistische Parole »Die Erde hat ihr Gesicht verändert« und, wenige Zeilen danach: »Stellt man einen Topf mit Wasser auf das Feuer, so wird es mit Sicherheit kochen. Erinnert uns das nicht an den ...« Die Anspielung wird nicht ausgesprochen, aber offensichtlich ist Karl Marx gemeint, der im »Kapital« seitenlang seine Vorstellungen von Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit am Beispiel eines Topfes mit kochendem Wasser erläutert. Ob etwa die Einstellung der Serie gar mit dem Wohnsitzwechsel E. Honeckers oder dem Auseinanderbrechen seines Autorenkollektivs zusammenhängt?

***) »Eine Klimakatastrophe, ein eisiger Winter, der ewig zu dauern scheint. [...] Der Schnee senkt sich wie ein weiches, weißes Tuch über die bedauernswerten Opfer...« [H 06/4594].

****)läßt bei den sonst so abgebrühten [sic! Welcher Assoziationsreichtum in einem Wort! - M. N.] Kämpfern dunkle Befürchtungen aufkommen.« [H 06/4731]; »Pule konnte sich vorstellen, für ein Brötchen einen Mord zu begehen [...]« [H 06/4699].



Siehe auch: Mike Noris: Mike Noris empfiehlt zehn Standardwerke der SF



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